00:00:00: Guten Tag. Ich möchte Ihnen auch heute aus meinem Buch "Gottlose Type" vorlesen. Es ist
00:00:10: keine der fröhlichen Geschichten, aber eine die mir gerade in dieser Zeit besonders am
00:00:18: Herzen liegt. Es ist ein Interview zu Lothar Bisky. Deshalt ist die Episode auch überschrieben
00:00:26: mit Interview zu Lothar Bisky. Am 13. August 2013 starb Prof. Lothar Bisky.
00:00:38: Plötzlich und unerwartet, wie es lakonisch heißt. Ich
00:00:43: war bestürzt. Alle deutschen Medien gingen sofort auf Sendung.
00:00:48: Schon die Biografie von Lothar war atypisch. Er
00:00:53: wuchs in Schleswig-Holstein auf, ging aber 1959 als
00:00:59: 18-Jähriger in die DDR, weil er sich dort bessere Ausbildungschancen
00:01:05: versprach. Er studierte Philosophie und Kulturwissenschaften. Nach vielen beruflichen
00:01:13: Zwischenstationen wurde er Rektor der Hochschule für Film und Fernsehen Potsdam. Einer seiner
00:01:22: bekanntesten Studenten, der Regisseur Andreas Dresen,
00:01:26: würdigte Lothar Bisky bei dessen Beisetzung sehr bewegt
00:01:31: und bewegend. Die Wendezeit in der DDR zog Lothar in die Politik. Am 18. März 1990 wurde
00:01:41: er in die letzte Volkskammer der DDR gewählt. Er
00:01:46: war Mitglied im Brandenburger Landtag, auch dessen Vizepräsident.
00:01:52: 2005 wurde er Mitglied des Deutschen Bundestages, 2009 des Europa-Parlaments. Dort erkor die
00:02:02: Fraktion GUE/NGL, ein Zusammenschluss von Sozialisten,
00:02:07: Kommunisten und linken Grünen aus mehreren Ländern, Lothar zu ihrem Vorsitzenden. Außerdem
00:02:14: agierte er zwei Mal als Vorsitzender der Partei des
00:02:18: Demokratischen Sozialismus (PDS) beziehungsweise der Partei DIE LINKE.
00:02:25: Die Absage an den »Stalinismus als System« auf
00:02:30: dem außerordentlichen Parteitag der SED im Dezember
00:02:33: 1989 hat er nicht nur getragen, er hat sie gelebt.
00:02:41: 2013 trat er demonstrativ in das innerparteiliche »Forum demokratischer Sozialismus« (FDS)
00:02:49: der Partei DIE LINKE ein.
00:02:51: Unmittelbar nach dem Tod von Lothar Bisky wurde ich
00:02:55: in einem Interview zu ihm befragt: »Er war kein Lautsprecher«
00:03:02: (15. August 2013) Seit wann kannten Sie Lothar Bisky?
00:03:09: Petra Pau: Wahrgenommen hatte ich ihn erstmals durch seine Rede auf der großen Bürgerrechtskundgebung
00:03:17: am 4. November 1989 auf dem Berliner Alex. Aus gemeinsamer Arbeit kenne ich ihn seit
00:03:27: 1992, nachdem ich Landesvorsitzende der Berliner
00:03:32: PDS geworden war.
00:03:34: Was haben Sie an ihm besonders geschätzt? Als Politiker, auch als Parteivorsitzender,
00:03:41: war er sehr angenehm atypisch. Mit Hierarchien konnte
00:03:46: er wohl nie etwas anfangen, mit Rechthaberei schon
00:03:50: gar nicht. Er war kein Lautsprecher. Lothar war ein Fragender,
00:03:56: ein Suchender, ein Denkender, ein Bittender. Ein Kommentator schrieb in seinem Nachruf:
00:04:02: »Ein Mensch wie Lothar Bisky käme heute in keiner
00:04:06: Partei in eine Spitzenposition«.
00:04:09: Seit Lothar Bisky gestorben ist, habe ich viel über die
00:04:14: politische Kultur hierzulande nachgedacht. Das beginnt
00:04:18: bei den Medien. 16.40 Uhr erfuhr ich von seinem Tod. 16.45 Uhr hatte ich bereits vier Interviewanfragen
00:04:30: dazu. Und?
00:04:33: Ich habe zugesagt. Wir leben in einer Mediengesellschaft und ich mache auch keinem Journalisten
00:04:40: daraus einen Vorwurf. Aber trotzdem trägt diese
00:04:44: Schnelllebigkeit schizophrene Züge. Man wird zu zitierfähigen
00:04:50: Sätzen gedrängt, während man sich traurig Innehalten und Stille wünscht.
00:04:56: In den meisten aktuellen Kommentaren wird Lothar Bisky
00:05:00: positiv gewürdigt. Das finde ich angemessen, aber auch das gehört
00:05:07: zum Widersinn. Wie oft wurde er in seiner Amtszeit
00:05:11: gescholten, er habe eine langweilige Rede gehalten oder
00:05:15: er setze sich als Vorsitzender einfach nicht durch.
00:05:19: Plötzlich gilt das vermeintliche Manko als menschliche Tugend.
00:05:25: Sie beklagen schlechten Journalismus? Nein, so einfach mache ich es mir eben nicht.
00:05:33: Ich kenne JournalistInnen aus Medien, die in manchen
00:05:36: linken Kreisen als böse-bürgerlich gelten. Es geht hier
00:05:39: nicht um Namen. Aber sie haben Lothar Bisky seit 1990 begleitet. Sie schätzten ihn und
00:05:48: seine Art sehr. Aber die Schlagzeilen setzten andere, meist
00:05:53: parteipolitisch, also häufig gegen Lothar.
00:05:59: Lothar Bisky war selten in Talkshows. Es gibt im deutschen Fernsehen keinen Mangel
00:06:04: an Talkshows. Aber sie werden immer niveauloser.
00:06:07: Entweder werden Politiker gegeneinander gehetzt. Oder
00:06:11: es werden belanglose Themen aufgebläht. Typen, wie
00:06:15: Lothar Bisky, sind da nicht gefragt. Worte des Bedauerns über den Tod von Lothar
00:06:23: Bisky kommen aus allen Parteien, der CDU, der SPD, der
00:06:28: FDP ... ... ich unterstelle mal freundlich, die Worte
00:06:32: sind ehrlich gemeint und nicht nur die übliche Huldigungsroutine.
00:06:36: Etwa, wenn Lothar nun bescheinigt wird, dass er immer kulturvoll mit anderen umging, selbst
00:06:44: mit Konkurrenten, und dass er stets ein verlässlicher
00:06:48: Partner war. Und schon sind wir wieder bei der politischen
00:06:52: Unkultur, über die ich seit Tagen nachdenke. Inwiefern?
00:06:57: Wenn Lothar Bisky in den Augen der CDU, SPD, FDP
00:07:02: und Bündnis 90/Die Grünen solche Qualitäten verkörpert
00:07:06: hat, wie sie ihm nun posthum bescheinigt werden, warum hat man ihn dann 2005 bei seiner Kandidatur
00:07:14: zum Vizepräsidenten des Bundestages vier Mal
00:07:18: durchrauschen lassen? Sie meinen, das passt nicht zusammen?
00:07:22: Leider doch. Nicht aus meiner Sicht, aber im unsäglichen
00:07:27: Selbstverständnis der Politik. Ich illustriere das
00:07:31: gern mit einem zweiten Beispiel. Bitte!
00:07:34: Stefan Heym war Jude. Er musste als Jugendlicher vor den Nazis fliehen und kam mit der US-Armee
00:07:43: als Befreier nach Deutschland zurück. Als gefragter
00:07:47: Schriftsteller wurde er in der DDR mit Argwohn und
00:07:50: Schlimmerem bedacht, weil er ein kritischer Linker
00:07:54: war. In der BRD ward er deswegen hoch gelobt, weil
00:07:59: er dadurch ein Kritiker in der DDR war. Im vereinten
00:08:03: Deutschland wurde er 1994 für die PDS in den Bundestag
00:08:08: gewählt und hielt dort als Alterspräsident eine
00:08:12: sehr nachdenkliche Eröffnungsrede. Die etablierten Parteipolitiker, die den linken Heym noch
00:08:20: vor Jahren gepriesen hatten, begegneten ihm, dem immer
00:08:24: noch linken Heym, nun mit Eiseskälte. Diese menschliche
00:08:29: Schmähung war eine politische Offenbarung. In der Parteipolitik gilt der eigene Erfolg
00:08:38: und nicht der Mensch?
00:08:39: Zu häufig. Das macht sie kulturlos und für viele abstoßend.
00:08:44: Nehmen wir das Beispiel Heiner Geißler. Als CDU-Generalsekretär war er der bestellte
00:08:51: Haudrauf gegen alle, die als Linke galten. Vom Amte
00:08:55: befreit, als denkender Bürger, wurde er ein kapitalismuskritisches
00:09:00: Attac-Mitglied. Kurzum: Parteipolitik versaut den Charakter?
00:09:06: Da ist viel dran. Nur: Lothar Bisky hat das Gegenteil
00:09:11: bewiesen und gelebt. Ich wünsche mir mehr solcher
00:09:16: Vorbilder in der Politik. Soweit die etwas längere Episode aus meinem
00:09:24: Buch "Gottlose Type". Bleiben sie gesund und bis zum nächsten mal.