00:00:00: Guten Tag. Auch heute möchte ich ihnen eine Episode aus meinem 2015 erschienen Buch "Gottlose
00:00:10: Type" vorlese. Es geht darum, wie ich überhaupt das erste mal in den Bundestag gewählt wurde.
00:00:23: Rotes Ampelmännchen. Hätte mir 1990 jemand gesagt, ich würde
00:00:30: mal Mitglied des Bundestages, ja, sogar Vizepräsidentin
00:00:34: desselben werden, ich hätte ihn zum Arzt geschickt.
00:00:38: Auch 1998 wollte ich nicht für den Bundestag kandidieren.
00:00:45: Meine Partei-Vordenker hatten das auch nicht im
00:00:49: Sinn. Sie suchten nach einem Promi, der den Wahlkreis
00:00:54: Berlin Mitte-Prenzlauer Berg verteidigen könne.
00:00:57: 1994 hatte ihn der parteilose Schriftsteller Stefan Heym
00:01:03: für die PDS gewonnen. Nun kam man auf Elmar Schmähling.
00:01:09: Der Ex-Admiral war eine Persönlichkeit der Westdeutschen
00:01:14: Friedensbewegung, und er schien geeignet, insbesondere
00:01:18: im Szenebezirk Prenzlauer Berg Zuspruch zu erheischen.
00:01:22: Das Vorhaben hatte nur einen klitzekleinen Haken.
00:01:29: Elmar Schmähling war als Zivilbürger Inhaber einiger
00:01:33: kleiner Firmen, die, warum auch immer, inzwischen pleite waren. Ihm wurde Konkursverschleppung
00:01:41: angelastet, eine Straftat und mithin ein Mega-Thema für
00:01:47: nahezu alle Medien. Ihre Botschaft war: »PDS wirbt
00:01:53: mit Wirtschaftskriminellen. Unwählbar!« Gegen diesen
00:01:57: Dauerbeschuss des Boulevard und der Öffentlich- Rechtlichen war kein Kraut gewachsen.
00:02:02: Mit Elmar Schmähling war also der Wahlkreis nicht
00:02:06: mehr zu verteidigen. War er überhaupt noch zu gewinnen, und wenn
00:02:11: vielleicht, mit wem? Alsbald lief alles auf mich zu. Pau
00:02:18: statt Schmähling. Doch was halten die »großen Vier«
00:02:23: der PDS-Spitze davon? Es gab eine Telefonkonferenz und eine Abstimmung, ich war dabei. Sie ging
00:02:31: knapp aus, drei zu zwei für mich.
00:02:35: Dann ging es in den Wahlkampf. Ich musste mich
00:02:38: sputen, Wolfgang Thierse (SPD), Günter Nooke (CDU),
00:02:44: Marianne Birthler (Bündnis 90/Die Grünen) und Martin
00:02:49: Matz (FDP) hatten schon Wochen Vorsprung. Also
00:02:54: war ich von früh bis spät unterwegs. Politisch konnte
00:02:59: ich allerdings erklären, was immer ich wollte, in den
00:03:03: Medien kam dies kaum vor, meine Spitzenkonkurrenz war einfach präsenter. Wir griffen zum Äußersten
00:03:13: und erklärten flugs das rote Ampelmännchen aus
00:03:16: DDR-Zeiten zu meinem Begleiter. Allerdings eines, das
00:03:21: nicht »Halt« gebietet, sondern sichtbar läuft
00:03:26: und zwar nach links. Ich erinnere mich noch gut an einige
00:03:31: Schimpfmails, ob wir Senioren zur falschen Zeit auf den
00:03:35: Fahrdamm locken wollten, anstatt sie vor Rasern zu
00:03:38: schützen? Jedenfalls luden wir zur Pressekonferenz, und
00:03:43: siehe da: Nahezu alle relevanten Medien kamen, filmten
00:03:50: und schrieben über mein Ampelmännchen. Fortan hatte ich immer ein paar Dutzend Abzeichen
00:03:57: parat. Sie wurden gern genommen, und nach zwei, drei
00:04:01: Wochen konnte man sie bereits an vielen Revers entdecken.
00:04:06: Wer sie sah und Bescheid wusste, schmunzelte: Na
00:04:11: klar, Petra Pau wählen! Kurz vor dem Finale meldete sich noch einmal
00:04:17: unser damaliger PDS-Wahlkampfleiter öffentlich zu
00:04:22: Wort. Er schrieb den einstigen Heym-Wahlkreis kurzerhand
00:04:27: ab, also mich. Es war das Jahr, in dem der deutsche Beitrag zum Eurovision Song Contest
00:04:35: auf allen Sendern lief: »Guildo hat euch lieb!«
00:04:40: Umso überraschender gewann ich am 27. September 1998 mein
00:04:48: erstes Direktmandat, mit Ampelmännchen. Man soll
00:04:54: kleine Rote eben nicht unterschätzen. Soviel heute aus der gedruckten Gottlosen Type.