00:00:00: Guten Tag,
00:00:01: auch heute möchte ich Ihnen
00:00:03: Episoden aus meinem Buch
00:00:05: "Gottlose Type" vorstellen. Ich habe dem Bundestag aus sehr unterschiedlichen
00:00:10: Perspektiven erlebt: Als Mitglied der allerersten Fraktion der PDS noch in Bonn am Rhein
00:00:18: und später hier in Berlin,
00:00:21: gemeinsam mit meiner Kollegin Gesine Lötzsch, die im Wahlkreis Lichtenberg direkt gewählt wurde, als
00:00:28: fraktionslose Abgeordnete in den Jahren 2002 bis
00:00:32: 2005
00:00:33: und ab 2005 als Mitglied der Fraktion Die Linke
00:00:38: und seit 2006 als Vizepräsidentin des Bundestages.
00:00:43: Da erlebt man eine ganze Menge. Heute möchte ich ihnen drei Auszüge aus der
00:00:51: fraktionslosen Zeit vorlesen.
00:00:54: Die erste Episode ist überschrieben mit "Bester
00:00:58: Pressesprecher".
00:01:00: Tue Gutes und rede darüber.
00:01:03: Diese Weisheit gilt
00:01:05: allemal für
00:01:06: Abgeordnete. Wir können uns nach bestem Wissen und Gewissen
00:01:11: abstrampeln - wenn niemand das erklärt, war alles für die Katz.
00:01:16: Deshalb haben alle Fraktionen auch Pressestellen und Bereiche für Öffentlichkeitsarbeit.
00:01:23: 2002 waren Gesine und ich bar einer Fraktion und mithin auch ohne
00:01:30: Experten für "tue Gutes und rede darüber".
00:01:34: Ohnehin war das Medieninteresse dünn gesät und nahe null wenn es um politische Positionen ging.
00:01:42: Dabei hatten wir beide nebenbei einen Rekord aufgestellt:
00:01:46: Jede von uns hatte im Plenum circa
00:01:51: 150 mal geredet,
00:01:53: jeweils drei Minuten lang. Mehr stand uns nicht zu.
00:01:57: Interessant wurden wir immer nur, wenn der Bundestag unsere ohnehin kargen
00:02:04: parlamentarischen Rechte über Gebühr noch weiter einschränkte.
00:02:09: So hatten wir im Plenarsaal
00:02:11: zwar zwei Stühle ganz hinten fast draußen, einen Tisch oder gar ein Telefon wurde uns nicht
00:02:19: zugestanden.
00:02:21: Das rief die Medien auf den Plan. Die Satiresendung Extra 3
00:02:26: reiste sogar mit einem eigens gefertigten Tisch an und sendete genüsslich dessen feierliche Übergabe an uns.
00:02:34: Apropos Tisch: Zu meinem Geburtstag
00:02:38: 2003 bekam ich mit schöner Hinterlist ein Spezialgeschenk:
00:02:43: Einen Aktenkoffer, der sich aufgeklappt in einen Tisch verwandelte.
00:02:49: Eines Tages nahm ich ihn in den Plenarsaal mit. Was für ein Fest! Kaum hatte ich ihnen entfaltet,
00:02:56: brach im Präsidium Hektik aus.
00:02:59: Eifrig wurde in der Geschäftsordnung geblättert, aber so ein Fall war darin weder vorgesehen noch geregelt.
00:03:08: Die Saaldienerinnen und -diener, die guten Geister des hohen Hauses,
00:03:12: reagierten verwirrt oder
00:03:14: grinsten in sich hinein. Wie auch immer, die Ordnungshüter standen vor einer
00:03:21: unauflösbaren Krux. Den Tisch hätten sie kassieren können, nicht aber den dazugehörigen Koffer, denn der
00:03:30: enthielt meine persönlichen Akten als Abgeordnete und war mithin
00:03:36: unangreifbar. Die Geschichte geht noch ein wenig weiter, aber sie sollen ja neugierig bleiben oder vielleicht auch im Buch nachlesen.
00:03:44: Ich will ihnen noch zwei von drei Episoden unter der Überschrift "Demo mit
00:03:51: Jesus" mit auf den Weg geben.
00:03:54: Mehr Öffentlichkeit
00:03:56: ermöglichte mir die Sat 1 Gruppe mit einer Serie "Die Volksvertreter - Politiker packen an".
00:04:04: Die Idee war:
00:04:06: Mitglieder des Bundestages
00:04:08: werden bei für sie
00:04:09: untypischen Tätigkeiten begleitet, zwei drei Tage lang. Mit dabei waren: Rainer Eppelmann CDU,
00:04:18: Renate Schmidt SPD,
00:04:21: Wolfgang Kubicki FDP und
00:04:23: und Rezzo Schlauch
00:04:25: Bündnis 90/ Die Grünen. Ich sagte flugs zu, weil ich uns in den Medien halten wollte. Mein Angebot:
00:04:33: Ich könnte für die Tafel oder ein Obdachlosenprojekt
00:04:37: arbeiten.
00:04:38: Absage! Dieser Part sei schon von der FDP besetzt.
00:04:43: Das sah ich ein, denn untypischer ging es nimmer.
00:04:48: Für mich hatte die Redaktion einen Einsatz als Tierpflegerin vorgesehen.
00:04:53: Ich bat um eine klitzekleine Änderung und schlug den Tierpark im Berliner Osten vor.
00:04:59: Es blieb beim Zoo in Charlottenburg. Auf
00:05:03: ging es bei Frost und Schnee. Ich duschte Elefanten,
00:05:08: mistete Ställe aus, gab einem Eselchen Fläschchen und half eine kränkelnde Python zu verarzten.
00:05:16: Die Bilder mit der Python zeigen übrigens wie untypisch gerade diese Begegnung für mich war. Aber,
00:05:24: der Filmmix lief und lief über die Sender zu allen Tageszeiten.
00:05:31: Immer wieder wurde ich darauf angesprochen,
00:05:34: einmal unverhofft auf dem Hamburger Hauptbahnhof:
00:05:38: "Sind sie nicht die Schlange von heute Nacht?" Das war natürlich
00:05:43: übertrieben.
00:05:46: Im ZDF
00:05:48: präsentierte Thomas Gottschalk
00:05:51: Gründonnerstag 2005, also kurz vor Ostern, zur besten Sendezeit
00:05:57: einen großen Bibeltest.
00:06:00: Eeinschaltquote riesig.
00:06:03: Verschiedene Gruppen
00:06:04: wetteiferten mit und gegeneinander.
00:06:07: Priesterschüler,
00:06:09: Journalisten, TV Stars und Politiker. Im Spiegel wurde die Sendung hernach verrissen.
00:06:16: Einer der wenigen Höhepunkte
00:06:19: sei aufgeflammt als der berufsteife Jürgen Rüttgers, CDU,
00:06:24: seiner linksgerichteten
00:06:26: Kollegin Petra Pau das Recht auf christliche Gesinnung absprach. Ich hatte ihm übrigens geantwortet:
00:06:35: Jesus wäre heute auf den Montagsdemonstrationen gegen Hartz 4.
00:06:40: Zugegeben, mehr Politik hatte die Gottschalk-Show
00:06:44: wirklich nicht zu bieten. Und doch endete der Bibeltest mit einer
00:06:50: unglaublichen Überraschung für die meisten. Ich gewann nämlich -
00:06:55: Ausgerechnet eine Linke,
00:06:58: obendrein aus dem gottlosen Osten.