00:00:01: Guten Tag! Auch heute möchte ich ihnen eine Episode aus der Gottlosen Type vorlesen. Sie
00:00:12: ist überschrieben mit "Kindertransporte". Nein, diese Geschichte aus der Nazi-Zeit war mir lange
00:00:28: unbekannt. So richtig präsent wurden mir die »Kindertransporte
00:00:33: « erst 2008. Damals wurde am S-Bahnhof Friedrichstraße in Berlin
00:00:41: eine Skulptur eingeweiht. Sie zeigt zwei Gruppen von Kindern, jüdischen Kindern.
00:00:48: Die eine vor der Ausreise nach England, die andere vor
00:00:53: der Deportation in Konzentrationslager der Nazis. Die
00:00:59: erste getrennt von ihren Familien mit der Chance auf
00:01:04: Überleben, die zweite dem Holocaust »geweiht«, wie ihre Familien.
00:01:10: »Kindertransporte« steht synonym für die Rettung von mehr als 10 000 Kindern, die als »jüdisch« im
00:01:21: Sinne der Nürnberger Rassegesetze von 1935 galten. Sie erhielten kurze Zeit,
00:01:28: von November 1938 bis zum 1. September 1939, die Chance, nach Großbritannien
00:01:38: auszureisen, Kinder aus Deutschland, Polen, Österreich
00:01:43: und der Tschechoslowakei. Die meisten sahen ihre Eltern nie wieder.
00:01:52: Was einerseits Hilfe versprach, hatte zugleich eine Kehrseite. Man versetze sich nur einmal in
00:02:01: eine Familie mit zwei, drei Kindern. Eines konnte
00:02:07: sie erwählen und in eine unbestimmte Ferne schicken,
00:02:10: weil es so vielleicht überleben kann. Ihre anderen Kinder nicht, nur eins. Das alles übersteigt mein
00:02:21: Vorstellungsvermögen, und doch muss es irgendwie
00:02:25: präsent bleiben. Nachdem das Berliner
00:02:30: Denkmal zu den »Kindertransporten « 2008 eingeweiht war, empfing ich die
00:02:36: aus allen Himmelsrichtungen angereisten »Kinder« als Vizepräsidentin offiziell
00:02:44: im Deutschen Bundestag. Sie alle sind inzwischen hochbetagt,
00:02:49: nannten sich aber noch immer »Kinder«.
00:02:53: Dabei war auch Frank Meisler, ein Künstler aus Israel.
00:02:59: Ich habe ihn inzwischen in seinem Atelier in Jaffa besucht. Auch er war ein solches »Kind« und
00:03:07: schuf einige Erinnerungen
00:03:09: an diese Transporte. Seine bildnerischen Arbeiten gibt es inzwischen in London, Wien,
00:03:16: Berlin, Gdan´sk, Hoek van Holland und Hamburg. Bei den meisten Einweihungen war
00:03:24: ich als Repräsentantin Deutschlands gefragt und dabei.
00:03:28: Bemerkenswerter finde ich allerdings zwei andere »Beiläufigkeiten«. An der Berliner
00:03:35: Skulptur für die »Kindertransporte«
00:03:37: liegen fast täglich frische Blumen. Die hat niemand offiziell geordert, sie werden von
00:03:45: Herzen gegeben. Und: Berliner Polizeianwärterinnen und -anwärter
00:03:51: hatten 2008 Patenschaften über noch lebende jüdische
00:03:58: »Kinder« übernommen, um ihre Geschichten und Sichten zu bewahren. Die
00:04:05: schlechteste Polizeiausbildung ist das gewiss nicht – im Gegenteil – sie sollte
00:04:11: Schule machen. Soviel heute aus der Gottlosen Type.