00:00:01: Die heutige Episode aus der Gottlosen Type ist überschrieben mit "Anstand
00:00:09: der Zuständigen". Als »Aufstand der Anständigen« gilt eine Massenkundgebung
00:00:19: im Jahr 2000 mit geschätzt zweihunderttausend Teilnehmerinnen und Teilnehmerin in Berlin.
00:00:26: Vorausgegangen war ein Attentat auf Jüdinnen und Juden
00:00:32: in Düsseldorf. Es gilt bis heute als nicht aufgeklärt.
00:00:36: Angemahnt hatte das demonstrative Zeichen gegen
00:00:41: Antisemitismus der damalige Vorsitzende des Zentralrats
00:00:46: der Juden in Deutschland, Paul Spiegel. Dazu aufgerufen hatte schließlich Bundeskanzler Gerhard
00:00:52: Schröder (SPD). Ich gehörte seinerzeit als Landesvorsitzende
00:00:58: der Berliner PDS zum erweiterten Organisationskomitee,
00:01:02: engagiert und durchaus dankbar ob des Erfolges.
00:01:07: Später las ich die Geschichte etwas anders. 1991/92
00:01:15: gab es in Deutschland eine extrem-ausländerfeindliche
00:01:20: Stimmung. Sie nahm pogromartige Züge an. Nahezu jeden Tag gab es Attacken gegen Asylsuchende und
00:01:29: Migranten, gegen ihre Heime und Wohnungen, in Ost und West. Hoyerswerda und Mölln,
00:01:36: Rostock-Lichtenhagen und Solingen wurden Synonyme dafür. Hass
00:01:43: wütete, Verletzte und Tote waren zu beklagen, viele.
00:01:48: Das sorgte für Schlagzeilen, weltweit, schlechte für
00:01:53: Deutschland und deutsche Unternehmen. Befürchtete Bundesaußenminister Klaus Kinkel (FDP) seinerzeit
00:02:02: und regte regierungsintern einen »Aufstand der Anständigen
00:02:07: « an. Diese
00:02:09: Geschichte kannte ich 2000 noch nicht. Kinkels Image-Idee wurde, warum auch immer, verworfen.
00:02:17: Stattdessen folgten CDU/CSU, SPD und FDP dem Aufstand der Unanständigen. Sie schleiften
00:02:27: de facto Artikel 16
00:02:28: Grundgesetz, das Grundrecht auf Asyl. Seit ich die Untergründe dieser Kohl-Kinkel-Lafontaine-
00:02:37: Geschichte kenne, werde ich noch hellhöriger, wenn Regierende zum Aufstand rufen. Wogegen eigentlich,
00:02:44: gegen Unbill oder gegen Ursachen? Im Herbst 2014 machte eine Bürgerbewegung namens
00:02:53: »Pegida« Furore, allemal in Dresden – »Patriotische
00:02:58: Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes «. Auf so eine paranoide Parole muss man erst
00:03:05: einmal kommen. Aber sie zog erst fünf-, dann zehn-,
00:03:10: später mehr als fünfzehntausend Demonstranten auf Straßen und Plätze,
00:03:15: immer wieder montags, mittenmang und vorneweg bekannte Neo-Nazis, deutschnational
00:03:22: gegen Flüchtlinge und Ausländer hetzend. Wissenschaftler, Publizisten und Politiker rätseln
00:03:31: seither, was dort abgeht, warum und was dagegen zu tun sei. Von allgemeiner Verunsicherung
00:03:38: ist die Rede, von erlebter
00:03:40: Unmündigkeit, von immer mehr Bürgerinnen und Bürgern, die sich durch die offizielle
00:03:46: Politik und das Gros der Medien verraten und verkauft
00:03:50: wähnen. Und das ausgerechnet in der »Heldenstadt« Dresden, wo 1989 der oppositionelle DDR-Anspruch
00:03:59: »Wir sind das Volk« durch PR-Manager von Kanzler Helmut Kohl in den BRD-Slogan »Wir sind ein Volk«
00:04:09: umgemünzt wurde. 25 Jahre später entladen sich Ängste und Frust. Vieles davon kann ich gut
00:04:19: nachvollziehen. Aber »Pegida«,
00:04:22: deutsch-national und fremdenfeindlich? Um Himmels willen und aus linker Sicht:
00:04:27: Nein! Oder wie 89er-DDR-Bürgerrechtler zuspitzten: »Jesus würde kotzen!«
00:04:37: Plötzlich, 2015, meldete sich auch Alt-Bundeskanzler
00:04:42: Schröder (SPD) wieder zu Wort. Er forderte erneut einen »Aufstand der Anständigen«. Wie anno 2000?
00:04:52: Oder wie Kinkel 1992? Damit das Ausland nicht verunsichert
00:04:58: wird und deutsche Unternehmen international nicht geschmäht werden?
00:05:02: Ja, ich bin seit langem für einen Aufstand der Anständigen.
00:05:07: Er ist überfällig! Aber er muss vor allem den Anstand der Zuständigen fordern. Politiker,
00:05:15: die das Asylrecht
00:05:16: geschleift und »Hartz IV« beschlossen haben, sind bei alledem keine glaubwürdigen Propheten.
00:05:24: Nun sind wir noch 5 Jahre weiter. Ich kann im Rahmen dieser Lesung nicht die gesellschaftlichen
00:05:32: Entwicklungen hier alle darstellen. Fest steht aber es ist aller höchste Zeit,
00:05:39: dass die Zuständigen, und darunter verstehe ich tatsächlich alle Demokratinnen und Demokraten ob
00:05:47: in den Parlamenten oder auch außerhalb der Parlamente, endlich dafür sorgen,
00:05:52: dass diejenigen die sich im Alltag für die Demokratie, für Mitmenschlichkeit einsetzen
00:06:00: und gegen jede Art von Menschenverachtung und Rassismus tatsächlich langfristig unterstützt
00:06:09: werden und das Rassismus, Menschenfeindlichkeit und Antisemitismus geächtet werden.