00:00:00: Guten Tag! Auch heute gibt es wieder eine Episode aus meinem Buch Gottlose Type. Sie

00:00:13: ist überschrieben mit Talkshow-Lehre. Das erste Mal ist immer etwas Besonderes. So war

00:00:23: es auch bei meiner Premiere in einer bundesweiten

00:00:26: TV Talkshow. Worum es ging, weiß ich nicht mehr. Auf

00:00:31: jeden Fall drehte es sich wohl auch um die Partei des

00:00:35: Demokratischen Sozialismus, kurz PDS. Ich war seinerzeit

00:00:41: Landesvorsitzende in Berlin, und dort wurde kurz zuvor, im Herbst 1995, ein neues Abgeordnetenhaus

00:00:49: gewählt, das Landesparlament der Spree-Metropole. Mit überraschenden Erfolgen für die PDS.

00:00:57: In den Ostbezirken gingen 36 der insgesamt 37 Direktmandate

00:01:03: an uns, und auch im Westteil der Stadt wurden wir überdurchschnittlich gut gewählt.

00:01:09: Das warf natürlich Fragen auf. Geht das mit rechten

00:01:13: Dingen zu? Ticken ausgerechnet die Berlinerinnen und Berliner nicht mehr richtig? Und wer ist

00:01:20: das überhaupt, diese rothaarige mit dem Igelschopf,

00:01:24: diese Pau?

00:01:25: Natürlich war ich aufgeregt. Inmitten allseits bekannter

00:01:29: Politikerinnen und Politiker schlug ich mich unter grellen Scheinwerfern und vor laufenden

00:01:35: Kameras tapfer, fand ich. Bis kurz vor Schluss, da

00:01:40: setzte ich aus, sprachlos, total. Wie aus heiterem Himmel

00:01:45: donnernd bezeichnete der CSU-Mann plötzlich mich und

00:01:50: meine Eltern als rot-lackierte Faschisten. Ich war dem Heulen nahe und wollte das Rund

00:01:58: verlassen. Aber dafür war es zu spät. Die Moderatorin

00:02:02: bedankte sich bei uns und bei den Zuschauern zuhause.

00:02:06: Wir verließen das Studio, ich noch immer fassungslos.

00:02:10: Beim Rausgehen kam Michael Glos, eben jener CSUGrande

00:02:16: auf mich zu und sprach sinngemäß: Na, Frau Pau, für ihre erste Talkshow waren sie doch

00:02:22: sehr gut, finde ich. Da müssen wir drauf anstoßen.

00:02:26: Krista Sager (Bündnis 90/Die Grünen) erfasste die Situation

00:02:32: sofort und befreite mich aus der Umklammerung. Wir

00:02:36: fuhren zu zweit ins Hotel. Ein Glas Rotwein half

00:02:40: uns, den Abend zu lockern.

00:02:42: Nie wieder bin ich so naiv in eine Talkshow gegangen.

00:02:47: Alle möglichen und unmöglichen Situationen haben wir seither vorab durchgespielt: Was

00:02:55: sind die Tücken des Themas? Wer könnte welchen Part

00:02:59: geben, wer Pro, wer Kontra? Wie wird die Moderation

00:03:04: agieren? Wer streitet erfahrungsgemäß kulturvoll, wer aggressiv?

00:03:10: Und so weiter. Jahre später, ich war wieder einmal bei einem

00:03:15: großen Talkshow gefragt, sagte ich bei der erstbesten

00:03:19: Gelegenheit: »Sie, Herr Glos, haben meine Mama und

00:03:24: meinen Papa öffentlich als Faschisten beschimpft. Bevor

00:03:28: Sie sich dafür nicht ebenso öffentlich entschuldigen, rede ich mit ihnen kein Wort!«

00:03:35: Michael Glos war baff, er verstand nicht, was ihm

00:03:39: gerade geschah. Er hatte die Geschichte von damals

00:03:43: längst tief im Vergessen begraben. Um so mehr erschrak

00:03:48: er jetzt. Der Medien-Profi rang um Worte und fand sie lange nicht. Ja, man begegnet sich

00:03:59: im Leben immer mehrfach, so kam es dann nach dem April 2006, dass Michel Gloß in seiner

00:04:07: letzten Legislatur im Bundestag von mir das Wort erteilt bekam im Bundestag und auch von

00:04:15: mir ermahnt werden musste wenn er seine Redezeit entsprechend überzog. Aber ich habe diese

00:04:21: Geschichte auch heute ausgesucht weil wir sind mitten in einem Wahljahr. Es werden Landtage

00:04:30: 2021 gewählt. In Berlin wählen wir unsere Bezirksverordnetenversammlungen und das Abgeordnetenhaus,

00:04:37: das heißt unseren Landtag. Und am 26. September ist Bundestagswahl. und nicht nur in Wahlkampfzeiten,

00:04:46: aber gerade auch in diesen Wahlkampfzeiten finde ich es wichtig, dass Argumente ausgetauscht

00:04:52: werden. Das man um die beste Lösung ringt, auch streitet, das gehört zur Demokratie

00:04:58: dazu, dass man das aber mit Respekt vor den anderen Personen tut und sie niemals persönlich

00:05:07: diffamiert und angreift. Ich verspreche ihnen, ich werde auch weiter so agieren. In Marzahn-Hellersdorf,

00:05:15: in Berlin, im Bundestag und Bundesweit!