00:00:00: Guten Tag! Auch heute gibt es wieder eine ernste Episode aus meinem Buch "Gottlose Type"
00:00:10: Sie ist überschrieben mit Falsch Zeugnis. »Die Geschäftsstelle der PDS in Marzahn
00:00:16: wurde gerade von Polizisten
00:00:18: gestürmt!« Diese Botschaft alarmierte mich am Morgen des 19. Februar 1997. Damals
00:00:27: war ich Landesvorsitzende der Berliner PDS. Mehr war telefonisch nicht zu erfahren. Also fuhren wir
00:00:36: nach Alt-Marzahn. Haus Nummer 64 war umstellt und abgeriegelt. Neben der
00:00:45: örtlichen PDS hatte dort Gregor Gysi ein Wahlkreisbüro. Außerdem bot der
00:00:51: »Kleine Buchladen« Literatur an. Wie sich alsbald herausstellte,
00:00:56: war der Neo-Nazi Kai Diesner eingedrungen und hatte auf den Erstbesten
00:01:02: geschossen, der ihm vor seine Pumpgun kam. Es war der Buchhändler Klaus
00:01:07: Baltruschat. Aus »Hass gegen die Linke«, sagte Diesner später
00:01:13: vor Gericht in Lübeck. Dort wurde verhandelt, weil er
00:01:18: Tage nach dem Marzahner Attentat in Schleswig-Holstein
00:01:22: einen Polizisten erschossen hatte. Doch der Mord auf einem Autobahn-Parkplatz und der versuchte
00:01:31: Mord in Berlin-Marzahn hatten eine unmittelbare Vorgeschichte.
00:01:36: Am 15. Februar 1997 wollten die Jungen Nationaldemokraten
00:01:43: (JN), der Nachwuchs der rechtsextremen NPD, in Marzahn-Hellersdorf aufmarschieren. Alle
00:01:52: Parteien des Bezirksparlaments, Kirchen, Gewerkschaften
00:01:55: und andere Initiativen demonstrierten gemeinsam dagegen – massenhaft, friedlich und erfolgreich,
00:02:04: der Neo-Nazi-Aufmarsch fand nicht statt. Noch in der Nacht danach erstattete
00:02:09: der damalige Landesvorsitzende der NPD Strafanzeige gegen Gregor Gysi und
00:02:16: Petra Pau wegen »Aufruf zum Mord«. Gregor Gysi war übrigens bei der
00:02:22: antifaschistischen Demo in Marzahn- Hellersdorf überhaupt nicht dabei, und der Vorwurf
00:02:28: gegen mich war einfach absurd. Nicht für die »Berliner
00:02:33: Abendschau«, die Nachrichtensendung vom »Sender Freies Berlin«, später
00:02:37: »Radio Berlin-Brandenburg«. Die hatte abends den Innensenator Jörg Schönbohm (CDU) als Kronzeugen
00:02:46: im Interview. Der verkündete: Die Linke hat eine Menschenhatz auf junge Demokraten veranstaltet. So
00:02:55: wurde ein breites antifaschistisches Bündnis zu einer
00:03:00: gewalttätigen Linken umgedeutet und eine friedliche
00:03:04: Demonstration zur Menschenhatz. Obendrein adelte Schönbohm militante Nazis als »junge Demokraten«.
00:03:13: Das alles wurde unwidersprochen vom öffentlichrechtlichen
00:03:17: Fernsehen verbreitet. Warum kommt mir diese schlimme Geschichte immer
00:03:24: wieder in den Sinn? Natürlich im Zusammenhang mit dem totalen Staatsversagen rund um die
00:03:31: NSU-Nazi-Mordserie. Denn erwiesen ist leider auch: Bei alledem fügten auch die Medien ihren Teil dem
00:03:42: Desaster bei, zu staatsnah, zu opferfern. Das fatale
00:03:47: Wort »Dönermorde« für eine deutschnationale Verbrechensserie
00:03:51: ging auf ihr Konto. Und bei aktuellen Debatten für oder gegen eine
00:03:58: Willkommenskultur gegenüber Flüchtlingen, also über Menschen in höchster
00:03:59: Not, tun sich manche schwer mit Artikel 1 Grundgesetz:
00:04:03: »Die Würde des Menschen ist unantastbar.« Aller Menschen! Nicht nur der Deutschen!
00:04:12: Ich habe diese Episode nicht nur wegen der zeitlichen Nähe zum traurigen Jubiläum dieses
00:04:20: Attentats ausgesucht. Sondern, weil wir es auch heute im Jahr 2021 mit Naziterror
00:04:29: und öffentlicher Verharmlosung zu tun haben. lassen sie uns, gerade auch in diesen Zeiten,
00:04:36: in Corona Zeiten darauf achten, dass Artikel 1 des Grundgesetzes "Die Würde des Menschen ist
00:04:46: unantastbar!" uneingeschränkt gilt. Und dass die Ermittlungsbehörden,
00:04:52: beispielsweise endlich ihre Arbeit machen in Bezug auf die nach wie vor nicht aufgeklärte
00:04:59: Anschlagsserie in Berlin Neukölln. Ich wünsche ihnen alles Gute, bleiben sie gesund!